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Rodin Museum in Meudon mit seinem monumentalen Werk Der DenkerAgence photographique du musee Rodin J. Manoukian © Agence photographique du musée Rodin, J. Manoukian

Fenster nach Paris: Zu Besuch bei Rodin

Auguste Rodin nahm das Schiff, um auf der Seine von Paris nach Meudon zu fahren. In dem rund 12 Kilometer südwestlich vom Pariser Zentrum gelegenen Ort hatte er 1895 die Villa des Brillants gekauft, in die er zwei Jahre zuvor zur Miete eingezogen war. In dem mehrstöckigen Herrenhaus im Louis-XIII-Stil lebte und arbeitete er bis zu seinem Tod im Jahr 1917 im Alter von 77 Jahren - und empfing viele Besucher, unter ihnen Paula Modersohn-Becker und Bernhard Hoetger. 

Das Anwesen thront auf den Anhöhen von Meudon mit Blick auf die Seine und inmitten eines großen Parks, wo Rodin auch begraben ist. Vom Pariser Zentrum aus erreicht man die Stadt im Grünen mit der U-Bahn in rund 20 Minuten. Heute gehört das Wohnhaus mit Atelier und Pavillon zum Rodin-Museum in Paris. 

In Meudon sind überwiegend die riesigen Gipsmodelle ausgestellt, die Rodin als Vorlage für sein berühmtes «Höllentür» und «Die Bürger von Calais» dienten. Seine Bronzefiguren, mit denen er die klassische Gattung der Bildhauerei revolutionierte, sind im Rodin-Museum in Paris zu sehen, in der rue de Varenne, nur wenige Schritte vom Eiffelturm und dem Invalidendom entfernt. In heroischer Größe und tief in Gedanken versunken steht an beiden Standorten eine seiner bekanntesten Arbeiten: «Der Denker». Das Original in Paris, die Kopie am Grab des Künstlers in Meudon.

Von der Plastik gibt es weltweit über 20 Bronze- und Gipsabgüsse. Ursprünglich stand sie auf dem Pariser Place du Panthéon. Bei der Einweihung am 21. April 1906 vor dem Panthéon, dem Ruhmestempel der Franzosen, war auch Paula Modersohn-Becker anwesend. Im Jahr 1922 fand die monumentale Skulptur dann ihren Platz in der rue de Varenne.

  • © Agence photographique du musée Rodin, J. Manoukian
  • Rodin-Museum in Meudon, ©Agence photographique du musée Rodin, J. Manoukian
  • Rodin Museum in Paris. Foto Sabine Glaubitz
  • Foto von der Einweihung 1906 der Skulptur "Der Denker"

Vor allem mit dem Erfolg von Rodins Alma-Ausstellung am Rande der Weltausstellung im Jahr 1900 kamen die Besucher nach Meudon. Rodin hatte das Weltereignis zum Anlass genommen, seine erste große persönliche Retrospektive in Paris, Place de l'Alma, zu organisieren. In einem eigens dafür errichteten Pavillon vereinte er mehr als 160 Skulpturen, rund fünfzig Zeichnungen und ebenso viele Fotografien. Er wollte den innovativen Charakter seiner Kunst zeigen, das Bestreben, sie auf das Wesentliche zu reduzieren: auf die Natur und Einfachheit des menschlichen Körpers. Er brach mit akademischen Konventionen, schuf durch raue, unfertige Oberflächen Unruhe, Körperlichkeit und Bewegung. Damals war Rodin sechzig Jahre alt und auf dem Höhepunkt seiner Karriere. 

Inspiriert von den Torsi, antiken Statuen, denen wesentliche Körperteile fehlen, hat Rodin die Unvollständigkeit seiner Skulpturen zu einem Stilelement erkoren. Eines der schönsten Beispiele dafür ist «Der Schreitende». Der muskulösen Bronzefigur, die energisch vorwärtsschreitet, fehlen Kopf und Arme. «Was braucht man zum Gehen einen Kopf?» antwortete Rodin damals auf die negative Kritik der Fachwelt. Schon sein berühmtestes Frühwerk «L’homme au nez cassé», das einen Männerkopf mit gebrochener Nase zeigt, spiegelt wider, wonach Rodin zeitlebens strebte: Die Skulptur von ihrer nachahmenden Funktion zu befreien. Mit dem Weglassen und der Assemblage von Körperteilen ebnete Rodin den Weg für die abstrakte Skulptur und wurde vielen Künstlern zum Vorbild.

Sowohl der «Der Schreitende» als auch «L’homme au nez cassé» waren 1900 ausgestellt, Die Retrospektive, bei der Rodin auch seine Zeichnungen und Aquarelle weiblicher Akte präsentierte, verschaffte ihm internationalen Ruf. Neben Engländern, Iren und Amerikanern kamen Rodin auch viele Deutsche in Meudon besuchen, wo der Bildhauer und Zeichner nach der Ausstellung den Alma-Pavillon wieder aufbauen ließ. Unter ihnen waren die Maler Carl Moll und Max Liebermann, die Bildhauer Max Klinger und Bernhard Hoetger, der im Juni 1900 mit der Düsseldorfer Bildhauerklasse zur Pariser Weltausstellung kam. Der Besuch von Rodins Pavillon d’Alma hat den angehenden Bildhauer so sehr beeindruckt, dass er sich entschloss, in der Metropole zu bleiben.

Bernhard Hoetger hielt sich von 1900 bis 1907 in Paris auf. Seine anfänglich noch von Rodin inspirierten Skulpturen eroberten schnell die Salons der Hauptstadt. Im Jahr schuf er die Bronzeskulptur «Die menschliche Maschine», die sich heute im Pariser Orsay-Museum befindet. Sie stellt den Torso eines Bergmanns mit kräftiger Muskulatur dar, ohne Arme und fast gesichtslos. Rodins Einfluss der rauen Oberfläche, Unruhe und fragmentierten Körperlichkeit vereint sich in dem Werk Hoetgers mit sozialem Realismus. Durch den verschärften Ausdruck seiner Anstrengung wird das Werk zu einer Ikone des Elends der Arbeiterklasse und des Dramas der Menschheit. Ab 1905 entwickelte Hoetger neue und vereinfachte Formen und wurde neben Aristide Maillol einer der Vorläufer der modernen Skulptur.

  • Plakat für die Rodin-Ausstellung bei der Weltausstelllung 1900
  • Bernhard Hoetger, Die menschliche Maschine (La machine humaine), 1902

Paula Modersohn-Becker lernte Rodin im Jahr 1903 mit Unterstützung von Rainer Maria Rilke kennen. Der junge Dichter, der im September 1902 mit 25 Jahren auf den weltbekannten Dichter traf, fungierte zeitweise als dessen Sekretär und Ansprechpartner für alle, die den Meister kennenlernen wollten. So wie die damals die 27-jährige Malerin. Mit einer Empfehlungskarte von Rilke besuchte sie im März 1903 an einem Sonntag das Pariser Atelier des Künstlers.

Wie sie in einem ihrer Briefe an ihren Mann und Maler Otto Modersohn schrieb, seien «allerhand Leute» dagewesen. «Die Karte sah er sich garnicht an, nickte mir zu und ließ mich in aller Ruhe durch seine Marmorgebilde wandeln. Da ist viel, viel Wunderbares», führte sie den Bericht über ihren Besuch weiter aus. 

Im Jahr 1903 hatte der Bildhauer sein Atelier noch in der rue de l’Université. In das Hôtel de Biron, ein Stadthaus aus dem 18. Jahrhundert, das 1919 zum heutigen Pariser Rodin-Museum wurde, zog er erst im Jahr 1908. In der Sammlung der sich in Paris und Meudon befindlichen Werke befinden sich rund 6 800 Skulpturen, 8 000 Zeichnungen, 10 000 Fotografien und 8 000 Kunstobjekte, denn Rodin war auch ein leidenschaftlicher Sammler, unter anderem von antiken Skulpturen und japanischen Holzschnitten.

Ebenfalls im März desselben Jahres besuchte Paula Modersohn-Becker Rodin in Meudon. Sie besichtigte den Pavillon, in dem der Künstler einst seine Retrospektive im Jahr 1900 organisiert hatte. Ihre Eindrücke: «Er geht immer von der Natur aus. Auch seine Zeichnungen, Compositonen macht er vor der Natur. Diese merkwürdigen Formenträume, die er auf das Papier wirft sind für mich die eigenartigste Erscheinung seiner Kunst. Er nimmt die allerkleinsten Mittel, er zeichnet mit Bleistift und tönt dann in merkwürdigen, leidenschaftlichen Wasserfarben. In diesen Blättern herrscht eine Leidenschaft und ein Genie und ein sich nicht kümmern um die Konvention», wie sie in ihren Briefen schildert.  

Rodins Arbeiten auf Papier sind aus konservatorischen Gründen nur sehr selten zu sehen. Bei jenen, die der Künstler Paula Modersohn-Becker zeigte, handelte es sich vor allem um Aktdarstellungen.  Rund 250 davon hatte das Pariser Rodin-Museum erstmals im Jahr 2018 ausgestellt. Mal stehend, mal sitzend, mal einen Fuß hoch auf einem Knie erhoben, mal mit einer Hand unter dem erhobenen Bein, oder liegend und die Beine auseinandergespreizt.

Zeichnungen und Aquarelle, in denen sich mehr als Sinnlichkeit und Begehren widerspiegelt. In diesen spät entstandenen Papierarbeiten zeichnete Rodin seine Modelle in Bewegung, um die Wahrheit des Körpers zu offenbaren. So wie Paula Modersohn-Becker, die auf der Suche nach Natürlichkeit in ihren Darstellungen die Körperlichkeit der Frauen und Kinder auf einfache Formen reduzierte. 

Während Rodins skulpturales Werk weltweit bekannt ist, wurden seinen Papierarbeiten lange Zeit weniger Beachtung geschenkt. Dabei hat er sein ganzes Leben lang gezeichnet. Er habe sein Leben mit dem Zeichnen angefangen, er habe nie aufgehört zu zeichnen, wie er einst sagte. Sowohl in seinen Skulpturen als auch Arbeiten auf Papier hat Rodin eine bis dahin unbekannte Formenfreiheit geschaffen und dadurch Werke voller Bewegung und Emotionalität. Eine Kunst, die allen Wagemutigen des 20. Jahrhunderts den Weg in die Epoche der Moderne ebnete – unter ihnen Bernhard Hoetger und Paula Modersohn-Becker, bedeutende Vertreter des frühen Expressionismus.

  • Auguste Rodin, Die Muse und der Dichter, o. J., Aquarell, Georg Kolbe Museum, Berlin
  • Auguste Rodin, Kniend zurückgebeugte Frau, um 1900, Aquarell über Bleistift auf Papier, Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Kunstmuseum Moritzburg, Halle (Saale)

 - Autorin Sabine Glaubitz lebt und arbeitet als Journalistin in Paris. Sie schreibt unter anderem für die dpa.

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